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Abschlussbericht des Förderprojekts „Primärversorgung im Ostalbkreis“ veröffentlicht

Um die Gesundheitsversorgung in der hausärztlich unterversorgten Region Schwäbischer Wald zu stärken, baute der Geschäftsbereich Gesundheit des Landratsamts im Rahmen des Förderprojekts „Primärversorgung im Ostalbkreis“ das Gesundheitsnetz Schwäbischer Wald auf. Nach dem Ende der Förderlaufzeit des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg wurde nun der Abschlussbericht veröffentlicht, der den Erfolg des Projekts eindrucksvoll bestätigt.

Das Gesundheitsnetz Schwäbischer Wald ist ein sektorenübergreifendes Primärversorgungsnetzwerk, das über 40 Mitglieder verfügt. Darunter befinden sich beispielsweise Hausarztpraxen, Kliniken, ambulante Pflegedienste, Sanitätshäuser, Physiotherapiepraxen, Dienstleister für Alltags- und Haushaltshilfe sowie eine Ernährungsberaterin und eine Wundmanagerin. In der zweiten Förderphase des Projekts, die von Juli 2022 bis Juli 2024 lief, wurden zwei Patientenlotsinnen und eine Gemeindeschwester im Gesundheitsnetz tätig. Die drei Gesundheits- und Krankenpflegerinnen wurden bei der kommunal-ärztlichen Genossenschaft MEDWALD eG angestellt, die das hausärztliche Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) in Durlangen betreibt.

Die Patientenlotsinnen stellten den Mittelpunkt des Gesundheitsnetzes dar. Sie waren die zentralen Ansprechpartnerinnen für die Netzwerkmitglieder sowie die Patientinnen und Patienten. Im Rahmen des sogenannten Case Managements steuerten sie den Versorgungsprozess von Personen mit komplexen Versorgungsbedarfen. Die versorgten Patientinnen und Patienten waren typischerweise mehrfach erkrankte, pflegebedürftige und immobile Personen, die oft nur wenig Unterstützung von Angehörigen erhielten. Die Lotsinnen behielten den Überblick über den Behandlungsverlauf, organisierten gesundheitsbezogene und soziale Leistungen und lotsten durch das Versorgungssystem. Zu ihren Aufgaben gehörten beispielsweise die Vereinbarung von Arztterminen, die Organisation von Transporten zur Praxis oder Klinik, das Stellen von Anträgen bei Kranken-, Pflegekassen und anderen Behörden sowie die Suche nach einem Pflegedienst oder Heimplatz. Sie arbeiteten mit einer ganzheitlichen Perspektive und einer hohen Patientenorientierung. Bei ihren Hausbesuchen berücksichtigten sie auch das häusliche sowie das soziale Umfeld der Patientinnen und Patienten. Das hier beschriebene Case Management ist bislang keine Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. Im Zuge des Förderprojekts waren die Leistungen für Patientinnen und Patienten im Schwäbischen Wald aber gänzlich kostenfrei.

Die Gemeindeschwester kooperierte mit acht Hausarztpraxen im Schwäbischen Wald. Bei ihren Hausbesuchen übernahm sie medizinische Tätigkeiten, die von den Praxen an sie übertragen wurden. Dazu zählten insbesondere Kontrolluntersuchungen und Routinebehandlungen bei chronisch erkrankten Personen (z.B. Vitalzeichenkontrollen, Wundversorgung, Blutabnahmen oder Blutzuckermessungen). Daneben zählte die Beratung zu Themen der Gesundheitsförderung und Prävention zu ihren Schwerpunkten. Sie unterstützte bei der Ausbildung eines gesunden Lebensstils und informierte etwa zu Ernährung, Bewegung und Sturzprophylaxe sowie zum Umgang mit chronischen Erkrankungen. Des Weiteren legte die Gemeindeschwester einen Fokus auf die Unterstützung von Personen mit psychischen Problemen. Hier gab sie z.B. Empfehlungen zur Stressbewältigung oder zum Umgang mit Einsamkeit.

Die Evaluation des Projekts „Primärversorgung im Ostalbkreis“ erfolgte in Zusammenarbeit mit dem Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Ulm. Es wurden Interviews mit Mitgliedern des Gesundheitsnetzes sowie mit Patientinnen und Patienten durchgeführt, die von den Lotsinnen oder der Gemeindeschwester versorgt wurden. Die Ergebnisse der Interviews zeigen, dass die Mitglieder des Gesundheitsnetzes das Angebot der Patientenlotsinnen als Arbeitserleichterung und Entlastung wahrnahmen. Durch die Kooperation verschiedener Gesundheitsberufe wurden im Rahmen des Case Managements die Grenzen von Sektoren und Sozialgesetzbüchern überwunden. Die Koordinierung von medizinischen, pflegerischen, therapeutischen und sozialen Leistungen stellte einen kontinuierlichen Versorgungsprozess sicher, verbesserte den Zugang zum Gesundheitssystem und führte zu einer effizienteren Nutzung von Ressourcen. Die Evaluationsergebnisse zeigen, dass vonseiten der Patientinnen und Patienten ein hoher Bedarf nach Unterstützung besteht, um medizinische Fachbegriffe zu verstehen, Behandlungswege zu planen und administrative Aufgaben sowie bürokratische Hürden zu bewältigen. Zahlreiche unterschiedliche Anlaufstellen und eine Vielzahl an Behandlungsmöglichkeiten können besonders für mehrfach erkrankte Patientinnen und Patienten überwältigend sein. Viele Betroffene wissen nicht, welche Versorgungsangebote ihnen zustehen und wie sie diese in Anspruch nehmen können. Mit dem Einsatz der Patientenlotsinnen wurde auf ebendiese Bedarfe reagiert. Des Weiteren wurde festgestellt, dass durch die Patientensteuerung und die Sicherstellung einer hochwertigen Versorgung in der Häuslichkeit der sogenannte Drehtür-Effekt, also wiederholte Klinikaufenthalte, verhindert werden konnte. Die Mitglieder des Gesundheitsnetzes sehen einen großen Bedarf für die Leistungen der Lotsinnen. Sie gehen davon aus, dass aufgrund des demografischen Wandels die Anzahl an mehrfach erkrankten Personen mit komplexen Versorgungsbedarfen sowie der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen steigen werden. Dementsprechend wird ein hoher Bedarf an Unterstützung und Patientensteuerung wahrgenommen, den die Netzwerkmitglieder nicht selbst abdecken können.

Die Interviews mit den kooperierenden Hausärztinnen und -ärzten zeigen, dass diese die Zusammenarbeit mit der Gemeindeschwester als niedrigschwellig, komplikationslos, bereichernd und entlastend empfanden. Betont wurde hierbei die Abgabe von Hausbesuchen, wodurch viel Zeit eingespart wurde. Die Patientinnen und Patienten, die von der Gemeindeschwester psychosozial betreut wurden, berichteten von einer Verbesserung ihrer Lebensqualität. Die Gemeindeschwester ging auf ihre Probleme ein und vermittelte alltagsnahe Techniken, z.B. im Bereich der Stressbewältigung, der Förderung von Resilienz und Selbstwirksamkeit sowie im Umgang mit Einsamkeit. In den Interviews wurde deutlich, dass die Tatsache, dass sich die Gemeindeschwester ausreichend Zeit für ihre Patientinnen und Patienten nahm, maßgeblich zur Zufriedenheit der Befragten beitrug. Betont wurde in diesem Zusammenhang, dass sie ausführlich über Erkrankungen und Behandlungen aufklärte und immer für Fragen bereitstand. Die kooperierenden Hausärztinnen und -ärzte sind der Auffassung, dass auch der Bedarf für das Angebot der Gemeindeschwester in Zukunft weiter steigen wird. Als Gründe werden der Ärztemangel, die alternde Gesellschaft sowie fehlende informelle Hilfsnetzwerke aufgeführt. Besonders deutlich zeigt sich dieser Bedarf bei Patientinnen und Patienten mit psychischen Problemen, die oft mehrere Monate auf einen Psychotherapieplatz warten müssen. Die Gemeindeschwester konnte für diese Wartezeit eine wertvolle Zwischenbetreuung gewährleisten.

Nachdem die Förderlaufzeit des Projekts „Primärversorgung im Ostalbkreis“ im August 2024 endete, beschloss der Ausschuss für Soziales und Gesundheit des Ostalbkreises, mit Mitteln des Landkreises eine Übergangsfinanzierung bis Ende 2024 sicherzustellen. So sollte Zeit gewonnen werden, um eine langfristige Finanzierungslösung für die Stellen der Patientenlotsinnen und der Gemeindeschwester zu finden. Eine solche Lösung konnte erfreulicherweise gefunden werden. Eine Patientenlotsin setzt ihre Tätigkeit fort, nunmehr unter dem Dach der Sozialstation Abtsgmünd gGmbH und in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Ulm. Ihr Aufgabengebiet soll um die bisherigen Tätigkeiten der Gemeindeschwester ergänzt werden. Um jedoch das gesamte Angebot des Gesundheitsnetzes dauerhaft in die Regelversorgung zu überführen, bedarf es einer Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Nun liegt es am Gesetzgeber, die Erkenntnisse aus den zahlreichen Pilotprojekten mit Patientenlotsinnen und Gemeindeschwestern zu analysieren und Voraussetzungen für die Überführung in die Regelversorgung zu schaffen.

„Das Projekt Primärversorgung im Ostalbkreis hat gezeigt, dass es sich lohnt, neue Wege zu gehen. Durch den erfolgreichen Einsatz der Patientenlotsinnen und der Gemeindeschwester im Gesundheitsnetz Schwäbischer Wald wurde ersichtlich, dass die Einführung von neuen nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen zu einer Verbesserung der Gesundheitsversorgung und zur Entlastung von Ärztinnen und Ärzten beitragen kann. Mein besonderer Dank gilt allen Projektbeteiligten, die mit ihrem Engagement, ihrer Expertise und ihrer Bereitschaft, sich aktiv an der Gestaltung der örtlichen Versorgungsstrukturen zu beteiligen, diesen Erfolg ermöglicht haben“, so Landrat Dr. Joachim Bläse.

Veröffentlichung: 15.04.2025